Gedenkveranstaltung zum Weltkriegsende in Forchheim – „Die letzten Kriegstage bis zur Befreiung von der Nazi-Diktatur“

Am 8. Mai 2024 fand auf dem Marktplatz in Forchheim eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Weltkriegsendes statt, organisiert vom Forchheimer Bündnis gegen Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus Bunt statt Braun! Die Veranstaltung bot den zahlreichen Teilnehmern nicht nur eine historische Rückschau, sondern auch eine Mahnung gegen das Vergessen.

Für einen klangvollen musikalischen Rahmen sorgten die Musiker*innen des MV Buckenhofen

Die Veranstaltung wurde musikalisch vom Blechbläserquartett des Musikvereins Buckenhofen umrahmt. Die Moderation übernahm Christa Gerdes von Bunt statt Braun. Die Redebeiträge von Dr. Manfred Franze und Rainer Streng bildeten den Kern der Gedenkveranstaltung.

Dr. Manfred Franze bot mit seiner Rede einen tiefen Einblick in die dramatischen Tage und Wochen vor und nach dem 8. Mai 1945:

Dr. Manfred Franze bietet einen tiefen Einblick in die Geschehnisse zum Kriegsende in der Region

Dr. Manfred Franze – Die letzten Kriegstage bis zur Befreiung von der Nazi-Diktatur

Ich gehöre der Generation der Kriegskinder an, habe aber das Kriegsende nicht bewusst erlebt, weil ich mit zwei Jahren zu klein dafür war. Dafür habe ich in der Folge zu spüren bekommen, was es heißt, im Krieg gewesen zu sein: mein Vater ist im März 1945 mit 29 Jahren gefallen, dann wurden wir mit 25 Kilogramm Handgepäck aus der Heimat vertrieben, kamen Monate lang in Lagerbarracken und landeten schließlich in einer Notwohnung auf dem Dorf.

Aber hier auf dem Dorf ging es den Einheimischen auch nicht viel besser. Die zwölf Jahre Nazi-Diktatur hatten ihre Spuren hinterlassen. Das belegen Zeugnisse aus dieser Zeit. Die Menschen fieberten im Frühjahr 1945 dem Kriegsende entgegen, hatten aber keine Chance, sich dem selbstmörderischen Untergang zu widersetzen, in den die Nationalsozialisten in einem letzten Aufbäumen Deutschland stürzten.

Mit „Führerbefehl“ ordnete Hitler am 19. März an, alle „Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Verkehrsanlagen sowie alle Sachwerte“ zu zerstören, die dem Feind den Angriff erleichterten.
„Wenn der Krieg verloren geht, wird auch das Volk verloren sein. Es ist nicht notwendig, auf die Grundlagen, die das deutsche Volk zu seinem primitiven Weiterleben braucht, Rücksicht zu nehmen. Im Gegenteil ist es besser, selbst diese Dinge zu zerstören.“

An dieses Direktive – von Historikern auch „Nerobefehl“ genannt – hielten sich die „Kampfkommandanten“, als die US-Truppen immer näher rückten. Rücksichtslos ließen sie im April 1945 bei uns zwanzig Brücken zwischen Bamberg und Forchheim sprengen: acht Brücken in Bamberg, die erst neu gebaute Luitpold-Brücke bei Neuses und alle elf Brücken in Forchheim. Die Aktion war nicht nur selbstzerstörerisch, sondern auch wirkungslos, weil der Vormarsch der US-Truppen nicht mehr aufzuhalten war.

Ab dem 4. April griffen amerikanische Tiefflieger gezielt unseren Landkreis an, feuerten mit Maschinengewehren auf Menschen und Gebäude. Es gab Tote und Verletzte, Wohnhäuser wurden zerstört und Scheunen in Brand gesetzt. Feldarbeiten waren kaum noch möglich. Wagte sich einer doch aus dem Haus, konnte er – wie es bei Unterleinleiter passierte – auf freiem Feld erschossen werden.

Tiefflieger griffen Eisenbahnlinien und Straßen an mit Toten und Verletzten in Forchheim und Wiesen-thau. In Zapfendorf wurde ein Munitionszug bombardiert. Bei der Explosion, die bis Forchheim zu hören war, wurde fast das ganze Dorf zerstört. Der Zugverkehr musste ebenso wie der Unterricht ab April 1945 eingestellt werden.
 
Je näher die amerikanischen Fronttruppen kamen, desto häufiger wurden die Tieffliegerangriffe. Hirschaid und Ebermannstadt bekamen das zu spüren. Es gab Tote und Verletzte, Gebäude brannten ab und stürzten ein. Auf von Flugzeugen abgeworfenen Flugblättern forderten die US-Truppen die Deutschen zur Kapitulation auf. Sie verlangten die Beseitigung von Minen und Barrikaden und zum Zeichen der Aufgabe das Hissen einer weißen Fahnen am höchsten Gebäude des Ortes. Geschah das nicht, wurde – wie im Falle von Kronach und Bamberg – aus allen Rohren geschossen und bombardiert.
 
Für die Menschen, die sich in Haus- und Felsenkellern verschanzten, spitzte sich die Situation dramatisch zu. Denn auf der anderen Seite riefen die nationalsozialistischen Hoheitsträger zu einer sinnlosen Verteidigung auf. Der „Deutsche Volkssturm“ – ein letztes Aufgebot aus alten Männern und minderjährigen Burschen – sollte Panzersperren errichten und nahezu ohne Waffen die Orte an den Durchgangsstraßen verteidigen. Eine solche Sperre befand sich z.B. in der Sattlertorstraße bei der Kaiserpfalz. Sie bestand aus links und rechts am Straßenrand senkrecht eingelassenen Eisenschienen und waagrecht eingelegten Querhölzern. An ihnen sollte dann „ein einzelner Mann mit einer Panzerfaust bewaffnet die heranrollenden feindlichen Panzer erledigen.“

Panzersperre, Forchheim, 1945
©Stadtarchiv Forchheim

Verantwortlich für den Abwehrkampf an den Panzersperren waren die Ortsgruppenleiter. Sie sollten dafür sorgen – wie es in einem der letzten Rundschreiben des Ebermannstädter Kreisleiters Karl Schmidt hieß – hier dem Feind Widerstand zu leisten, „solange es geht“, und „erst dann das Gebiet verlassen, wenn der Feind das jeweilige Gebiet besetzt“ hat.

Dabei setzten sich die regionalen und örtlichen „NS-Hoheitsträger“ selbst so bald wie möglich aus dem Kriegsgebiet ab. Einer der ersten war der mainfränkische Gauleiter Otto Hellmuth, der mit einem Tross von etwa hundert Personen in mehreren Bussen in Weigelshofen Halt macht und nach einer durchzechten Nacht dann weiter Richtung Süden flüchtete. Wenige Tage später setzte sich die die Bayreuther NSDAP-Gauleitung ab, darauf dann der Forchheimer Kreisleiter Johannes Wachsmuth zusammen mit Bürgermeister Burkhard Förtsch und in Ebermannstadt der Kreisleiter Karl Schmidt, sein OG-Leiter Heinrich Haas und Bürgermeister Georg Walter.
 
Während also die NS-Hoheitsträger das Weite suchten, gingen die Wehrmacht und die SS umso unbarmherziger gegen Saboteure und vermeintliche Deserteure vor: Nur mit Mühe konnte in Hallerndorf der Bürgermeister verhindern, dass ein SS-Kommandant Frauen exekutierte, die nachts versucht hatten die Panzersperre abzubauen. In Unterleinleiter erschoss ein junger Offizier einen Soldaten, der ohne Stellungspapiere mit dem Fahrrad unterwegs war. In Gasseldorf exekutierte ein fliegendes SS-Kommando einen Leutnant und legte ihn auf dem Friedhof in Untertrubach ab.

Vermutlich hätte dieses Schicksal auch den Oberamtsrichter Karl Poiger und den Oberfeldwebel Johann Kaul ereilt, als sie am 14. April nach Mitternacht mit dem Fahrrad von Forchheim zum US-Stabsquartier bei Bamberg unterwegs waren, um eine drohende Bombardierung Forchheims abzuwenden. Sie hatten Glück, wurden gefangen genommen, bewirkten aber, dass die Stadt nicht unter Beschuss genommen, sondern erst durch einen amerikanischen Spähtrupp erkundet wurde. Da das gefahrlos gelang, wurde die Stadt am Vormittag des 15. Aprils kampflos besetzt. Trotzdem kamen noch drei Männer des Volkssturms ums Leben, weil sie zu langsam auf Befehle reagierten. Am Nachmittag des 15. Aprils übergab um 14:00 Uhr anstelle des geflüchteten Bürgermeisters der Kämmerer Schwarz die Stadt ganz offiziell an die Amerikaner.

Für Forchheim war der Krieg zu Ende, nicht aber für Deutschland. Noch dauerte es, bis am 8. Mai das „Oberkommando der Deutschen Wehrmacht“ und damit das Nazi-Regime die Waffen streckte und die bedingungslose Kapitulation unterschrieb, auf die die Siegermächte bestanden.

Anders als nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschland jetzt von den vier Siegermächten besetzt, demilitarisiert und denazifiziert, aber auch unter Kontrolle demokratisiert. Das war der entscheidende Unterschied zu 1918, wo es unterblieben war, die für den Krieg Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Trotzdem hat es lange gedauert, den 8. Mai 1945 nicht als Niederlage, sondern als Befreiung zu sehen. Bis 1968 wurde noch mancher als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet, der sich auch auf lokaler Ebene mit den örtlichen Nazi-Größen auseinandergesetzt hat. Erst 1985 kam der Durchbruch, als der damalige Bundespräsident von Weizsäcker die entscheidenden Weichen für unsere Erinnerungskultur stellte. In der zentralen Passage seiner Rede heißt es:

„Der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung in Europa. Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Feiern. Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte. Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg. Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu gedenken, daß es zu einem Teil des eigenen Innern wird.
Es geht nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen. Das kann man gar nicht. Sie läßt sich ja nicht nachträglich ändern oder ungeschehen machen. Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.

Das Zitat sollte uns gerade heute ins Herz gebrannt werden, weil es wieder welche gibt, die eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ anstreben und die Nazi-Diktatur als „einen Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte kleinreden wollen. Dagegen steht die Erinnerung an den 8. Mai 1945.

Philosophin Susan Neiman in ihrem aktuellen Buch „Von den Deutschen lernen„: Die jüdische Amerikanerin, gebürtig aus den Südstaaten der USA und seit der Jahrtausendwende Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, vergleicht den deutschen und den amerikanischen Umgang mit den dunklen Kapiteln der eigenen Geschichte. Denn historisch betrachtet war Deutschland das erste Land, das bereit war, die Selbstwahrnehmung so zu ändern, dass man sich nicht mehr als Opfervolk, sondern als Tätervolk wahrgenommen hat. In der Bundesrepublik ist das erst am 8. Mai 1985 passiert, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges den 8. Mai 1945 nicht als „Tag der Niederlage“ sondern als „Tag der Befreiung“ bezeichnete.

Rainer Streng appelliert zum Einmischen

Rainer Streng spricht zu den Anwesenden

Nach dem Beitrag von Dr. Franze hielt Rainer Streng seinem Redebeitrag. Er verlas verschiedene Texte und Gedichte, die an die Schrecken des Krieges erinnerten und schloss mit einem Aufruf ab, nicht stumm daneben zu stehen, wo Unrecht geschieht, sondern aktiv zu sein und einzugreifen.

Die Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 bleibt ein wichtiger Bestandteil unserer gemeinsamen Erinnerung und ein Appell, die demokratischen Werte zu verteidigen, für die so viele Menschen gelitten und gekämpft haben.

Richard Schmidt
Richard Schmidt
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